Kategorie: #DigitalMondayBlog

Sind sie schon barrierefrei – oder lassen sie noch immer die am stärksten wachsende NutzerInnengruppe außen vor?

Kennen Sie Menschen mit Behinderungen? Wenn nein, suchen Sie online Videos und sie werden staunen, wie Sie mit neuen Technologien mithilfe von Assistierender Technologien (AT) umgehen trotz leichtem oder massiven Problemen beim Sehen, Hören, in der Motorik und Kognition. Das sind keine speziellen Anwendungen für behinderte Menschen! Sie nutzen ein- und dieselben Systeme wie jeder andere auch, ob Information, Shopping, Ticketing, Bildung, Job, Kultur, Kunst, Politik, Administration. Sie sind nicht bloß eine Randerscheinung, sie sind mittendrin, „early adpoters“, weil Digitalisierung traditionelle, lange schier unüberwindbare Barrieren abbauen kann. Die Bedienschnittstelle wird auf die standardisierte Mensch-Computer Schnittstelle (MMS) transferiert und diese kann mit ATs bedient werden. Und wir alle wissen, diese Schnittstelle ist einfach, universell und konstant. Sonst würden wir ja nicht von PC auf Tablett, Smartphone, Automaten, Autoradio, Heizungssteuerung, Waschmaschine …  wechseln und alle paar Monate neue Tools kaufen und ständig neue Apps downloaden. Das machen wir nur, weil wir uns darauf verlassen können, dass die gleichen intuitiven Interaktionskonzepte, die wir einmal gelernt haben, immer wieder und überall angewandt werden können.

Klaus Miesenberger

  • Rückblick: Einige werden sich noch daran erinnern können was es bedeutet hat, einen Videorecorder zu programmieren. Und wenn ein neuer hermusste, begann alles von vorne. So war es mit allen technischen Tools: Viel Spezialwissen um Spezialfunktionen, Seiten um Seiten im Handbuch, eben für Spezialisten und kaum für Menschen mit Behinderung.
  • Heute: Alles konvergiert in der einfachen MMS – kein Hersteller kann sich leisten, sie nicht zu unterstützen. Es für alle eine neue Kulturtechnik geworden und eben auch für Menschen mit Behinderungen mit ihren ATs.
  • Ausblick: Die MMS wird wohl auch weiterhin konstant bleiben, weil wir bequem sind und nicht lernen wollen. Was zu sehr abweicht, wird nicht akzeptiert. Erfolgreiche Änderungen werden wohl nur graduell sein, sich in das Gewohnte einfügen und sicher genauso intuitiv sein. Darauf können wir uns verlassen. Das hilft uns allen und vor allem auch Menschen mit Behinderung!

IKT mit ihrer MMS kann zum universellen Werkzeug der Inklusion werden, wenn diese barrierefrei gestaltet ist. Digitale Medien sind multimedial (oder a-medial). Erst im Moment des Zugriffes wird festgelegt, wie die Information am Bildschirm („responsiv“; auch adaptiert für sehbehinderte Menschen), auf einem Brailledisplay für blinde Menschen oder über Sprachausgabe wiedergegeben wird. Digitale Medien sind multimodal. Wir können über Maus oder Tastatur, über Touch, über Gesten, über Sprache, über Muskelsensoren bishin zu Brain-Computer Interfaces (BCI) steuern – mit einer breiten Palette von ATs. Es ist immer ein und dieselbse digitale Basis, aber es müssen eben die Richtlinien der Barrierefreiheit unterstützt werden.

Damit ist Barrierefreiheit mehr als nur gut gemeinte Symbolik:

  • Sie ist Grund und Menschenrecht (z.B. UN-Behindertenkonvention, EU-Direktiven, Bundesbehindertengleichstellungsgesetz) und wird Schritt für Schritt auch exekutiert!
  • Sie ist ein zentraler Beitrag zum Sozialsystem, den alles was nicht barrierefrei ist, erzeugt mehr Pflege- und Unterstützungskosten!
  • Sie macht es möglich, 15% mehr KundInnen zu erreichen, was besonders im Hinblick auf die Überalterung der Gesellschaft von Bedeutung ist.

Aber vor allem kann Barrierefreiheit bessere Voraussetzungen für eine offene und demokratische Informationsgesellschaft für alle schaffen, wenn sie als selbstverständlich angesehen wird.

Seien Sie ein „early adpoter“ und vergessen sie nicht auf Barrierefreiheit! Es geht nicht nur um EntwicklerInnen: Auch Sie und ich, wir alle produzieren Inhalte und für alles Digitale gilt die Anforderung der Barrierefreiheit.

Und vergessen Sie nicht, Barrierefreiheit betrifft uns früher oder später fast alle. Auch Sie werden älter. Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung steigt und mit ihr die persönliche Notwendigkeit der Barrierefreiheit in Ihrem digitalen Umfeld.

Was tun?

1) Lernen Sie den Nutzen kennen: Barrierefreiheit ist viel mehr als das Erfüllen einer lästigen Pflicht. Es steigert als integraler Bestandteil von Entwicklung und Prozessen Qualität und Usability für alle. Machen sie Barrierefreiheit zum Teil der Geschäftsprozesse mit interner Weiterbildung und/oder zur Kooperation mit ExpertInnen. Oder fragen sie NutzerInnen!

2) Für EntwicklerInnen und Contentverantwortliche ist es einfach – fast alle bedeutenden Tools und Plattformen, die wir verwenden, unterstützen Barrierefreiheit (wegen gesetzlicher Forderungen vor allem in den USA). Aber sie müssen genutzt werden! Tools wie die Accessibility Toolbar sollte in den Browsern installiert sein, um bei jedem Schritt Barrierefreiheit checken zu können. Sehr schnell lernt man so die Anforderungen der Zielgruppe kennen.

3) Immer wenn Sie Ihre Systeme/Ihren Content ändern oder Relaunches planen: Je früher sie an Barrierefreiheit denken, umso geringer ist der Aufwand. Machen sie Accessibility strategisch zu einem Teil der digitalen Kultur und des Alltags.

Mehr Information und Wissen: „Come and get involved!“

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Klaus Miesenberger ist Vorstand des Institutes Integriert Studieren an der Johannes Kepler Universität Linz (https://www.jku.at/institut-integriert-studieren). Er studierte Wirtschaftsinformatik in Linz. Seit 1991 ist er am Institut, das sich neben Forschung und Lehre (Assistierende Technologien, eAccessibility, eInclusion) der Unterstützung behinderter Studierender widmet. Er war in mehr als 85 nationalen und internationalen Forschungs- und Entwicklungsprojekten involviert. Die Forschungsarbeit ist in mehr als 200 referenzierte Publikationen dokumentiert.

Er ist wissenschaftlicher Leiter der ICCHP Konferenz (www.icchp.org), Gründer und Vorstand des KI-I (Kompetenznetzwerk IKT zur Förderung der Inklusion, www.ki-i.at), Past-President der Association for the Advancement of Assisitve Technology in Europe (AAATE, www.aaate.net) und Gründer/Vorstand des Vereins „bookAccess“ (www.bookaccess.at), Gründer und Leiter der Internationalen Camps für behinderte UniversitätsbeginnerInnen (www.icc-camp.info).

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